Zukunftsmusik

- Dein Leben im Jahr 2020

18.-28.August 2010
Internationales Begegnungsprojekt mit jungen Erwachsenen (18-28 Jahre)
aus Olomouc (Tschechien) und Kassel
in Kassel

Was machst Duhier?“ schreit ein Mann eine Frau an, die – mit einem anderen Mann – im Restaurant sitzt. Kurz zuvor hat Mann Nummer 1 (der Schreihals) gut gelaunt den Raum betreten, war aber beim Anblick des Paares schlagartig erstarrt. Jetzt zerrt er an ihrem Arm und schimpft: „Wer ist dieser Typ?“. Sie, ebenfalls mit erhobener Stimme: „Geht Dich gar nichts an! Brüll hier nicht so rum! Was willst Du?“ Er, immer noch brüllend: „Du kommst sofort mit!“ Sie: “Nein!!!“ Er: schlägt ihr ins Gesicht. Sie, sich wegdrehend: „Verpiss Dich, Du Ar….!!!“ Er: rennt hinaus.
„War die Geschichte so, wie wir sie eben gesehen haben?“ fragt Markus Hühn einfühlsam. Die Frage richtet sich an Pjotr *. Der ist sichtlich irritiert und nickt nach kurzem Zögern. Pjotr ist Teilnehmer der Internationalen Begegnung junger Erwachsener aus Olomouc (Tschechien) und Kassel, in der es um Kommunikation und persönliche Beziehungen geht. Soeben hatte Pjotr seine Geschichte erzählt, seine ganz persönliche Geschichte einer Trennung. Einige aus der deutsch-tschechischen Gruppe haben die Geschichte für Pjotr gespielt und ihm so die Gelegenheit gegeben, den Blick auf sein eigenes Erlebnis aus einem anderen Winkel zu werfen. Pjotr wollte diese Trennung nicht und eigentlich leidet er noch immer darunter. Die jungen Erwachsenen diskutieren die Situation. „Gibt es Ideen, wie man anders hätte handeln können?“ fragt Markus Hühn. Es gibt Ideen. Karel schlüpft in die Rolle von Pjotr und spielt seine Idee und die schreckliche Szene im Restaurant entwickelt sich auf einmal völlig anders.
Der erfahrene Playbacker Markus Hühn hatte im Rahmen der Begegnung mit Mitteln des Playback Theaters Geschichten und Erlebnisse aus dem Beziehungsleben der Teilnehmenden aufgegriffen. Ganz offensichtlich gab es bei den jungen Erwachsenen mit und ohne Behinderungen ein großes Bedürfnis, insbesondere über die Gestaltung von Paarbeziehungen, die damit verbundenen Nettigkeiten, Fallen und Konflikte, zu sprechen.

Zukunftsvisionen konnten die 30 Teilnehmenden dieses Begegnungsprojektes, das im August 2010 in Kassel stattfand, entwickeln, Zukunftsvisionen vor allem hinsichtlich ihrer Wünsche für das private Leben. Wie möchte ich in Zukunft wohnen? Alleine, zu zweit, in einer Wohngemeinschaft? Wie will ich Beziehungen gestalten? Wie kann ich erfolgreich mit anderen kommunizieren? Welche Wünsche habe ich an Bekannte, an Freunde, an Partner? Was erwarten und verbinden (junge) Männer in und mit einer Partnerschaft? Was erwarten (junge) Frauen?
In verschiedenen Übungen und Gesprächen wurde Vorstellungen, Wünschen, Ängsten und Hoffnungen zu Kommunikation und der Gestaltung persönlicher Beziehungen nachgegangen.



Die jungen Leute besuchten Menschen in verschiedenen Wohnformen, die sich von den üblichen Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen unterscheiden. Also nicht bei den Eltern und nicht im Wohnheim! Stattdessen sprachen sie mit Leuten, die alleine wohnen und etwa nötige Unterstützung selbst organisieren, waren Gäste in unterstützten Wohngemeinschaften und überzeugten sich von den Umständen des komplett selbständigen Wohnens.

Freilich wollte die Gruppe aus dem fast tausend Kilometer entfernten Olomouc auch noch andere Eindrücke aus Nordhessen mit nach Hause nehmen. Die tschechischen Teilnehmer verbrachten einen Nachmittag im Zuhause der deutschen, die nordhessischen Teilnehmer führten ihre Gäste durch die Kasseler City, den Bergpark und die Altstadt von Melsungen, sie waren zusammen Reiten und genossen gemeinsam die faszinierende Stimmung beim Klassik-open-air-Konzert auf der Karlswiese und sie waren zum Empfang im Kasseler Rathaus geladen.


Am Ende der Begegnung, bei der Tschechen und Deutsche viel voneinander erfahren haben, viele gemeinsame Gespräche geführt hatten und sich gemeinsam dem allen wichtigen Thema der Beziehungsgestaltung angenähert hatten, konnte jede/r Teilnehmende seine ganz persönliche Zukunftsvorstellung für ein Foto inszenieren. Bei der Vernissage am Abschlussabend sah man dann Menschen entspannt unter Palmen sitzen, die Tür zur gemeinsamen eigenen Wohnung aufschließen oder zärtlich aneinandergelehnt auf dem Sofa sitzen. Auch Pjotrs Sehnsucht war deutlich zu sehen.

 

Es war sehr interessant, zu sehen, wie andere mit Konflikten umgehen“, so eine Teilnehmerin. „Die Tschechen haben die gleichen Probleme wie wir auch“, stellte eine andere fest. „Es ist wichtig bei Problemen miteinander zu reden und nicht einfach weg zu gehen“, das Resumee eines Teilnehmers. Für Karel war es wichtig „zu sehen, wie man trotz Behinderung, alleine leben kann“. „Es war erstaunlich wie schnell und offen wir über alles, was zu einer Beziehung gehört, miteinander reden konnten“ sagt wieder ein anderer
und Pjotr bestätigt noch einmal, wie sehr ihn die Theaterübung angeregt hat, über seine Reaktion in der verflixten Restaurantszene nachzudenken.

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Dieses internationale Begegnungsprojekt wurde organisiert vom Kommunalen Jugendbildungswerk der Stadt Kassel, der Universität Kassel, Fachbereich Sozialwesen,  dem Verein Ambulante Hilfen im Alltag AHA e.V. und Sesam e.V. Das Projekt wurde finanziell unterstützt mit Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes (KJP) und durch das Projekt „Die Gesellschafter“ der AKTION MENSCH.


* Die Namen der Teilnehmenden wurden selbstverständlich verändert .